OSTSCHOCK & BÄDERCHIC
Strahlender Sonnenschein,
heiße Luft aus dem Süden und gut ausgeschlafen - so beginnt unsere
Tour gen Osten leider nicht. Nach nur vier Stunden Schlaf geht es heute
um kurz nach sieben bei starker Bewölkung, gelegentlichen Schauern und
nicht mal 20°C mit der Regionalbahn nach Aschaffenburg. Es ist schon
einiges los im Zug: viele Wochenendradler, Schichtarbeiter, die gerade
Feierabend haben und neben uns zwei Frauen, die versuchen, ihre
Lidl-29€-Bahntickets auszufüllen.
Nach einer Stunde Warten mit kleinem Frühstück geht unsere dritte
Europatour dann richtig los. Über Bamberg, Lichtenfels, Hof und
Marktredwitz machen wir uns quer durch das Fichtelgebirge mitsamt den
tief hängenden Wolken auf nach Tschechien. Unser erstes Ziel heute:
Cheb.
Die Vogtlandbahn dorthin ist ziemlich voll. Wir sehen die ersten anderen
Backpacker und lernen eine ältere Frau kennen, die lange in Liège
gelebt hat, dort offenbar mal wieder zu Besuch war und nun heim nach
Karlovy Vary fährt. Sie gibt uns zuerst auf gebrochenem Deutsch, dann
auf Französisch, was ihr leichter fällt, ziemlich gute Tipps, z.B.
dass die Bahnstrecke von Karlovy Vary nach Prag wegen Bauarbeiten
teilweise gesperrt sei und es über Plzeň schneller ginge.
Kaum über die Grenze, wird der Zug auf den Schienen etwas unruhiger.
Kurze Zeit später erreichen wir Cheb. Durchsagen,
Schilder, viele Leute - wir verstehen sie nicht. Es ist ein eigenartiges
Gefühl, das erste Mal eines der ehemaligen Ostblockländer zu betreten,
auch wenn die Wende schon 15 Jahre zurückliegt. Es ist weder
euphorisch, noch mulmig, einfach eigenartig, vielleicht etwas
befremdlich.
Vom Bahnhof aus laufen wir über den großen Vorplatz direkt ins
Stadtzentrum auf den Marktplatz, an dem auch das Touristenbüro liegt.
Abgesehen von bröckelndem Putz an einigen Häusern und manchmal doch
etwas gewagten Fassadenfarben macht die Stadt einen eher positiven
Eindruck. Im Touristenbüro will die Frau gerade absperren, lässt uns
aber doch noch herein und vermittelt uns ans Studentenwohnheim, das
nicht allzu weit vom Bahnhof entfernt liegt.
Durch eine Wohngegend dackeln wir dorthin. Zahlreiche Häuser sind noch
grau, aber oft erkennt man schon, dass an ihnen was gemacht wird, wie
neue Fenster eingesetzt beispielsweise. Mittendrin sitzt eine
gelb-bunte, moderne Eishockeyarena. Die Frau im Studentenwohnheim ist
sehr freundlich, auch wenn sie leider nur Tschechisch spricht. Als sie
unsere Studentenausweise sieht, reduziert sich der Übernachtungspreis
sogar noch mal von sowieso schon günstigen 280,- Kč (30Kč=1€)
auf
unglaubliche 150,- Kč pro Person! Das entspricht ziemlich genau
5€ pro Person! Doch leider kann sie uns auf unseren 1000-Kronen-Schein
vom Automaten nicht rausgeben und wir sollen in der Stadt wechseln. Was
sie meint, ist uns schon klar, aber leider können wir ihr nicht
verständlich machen, dass wir verstanden haben, was sie meint. Sie
führt uns jetzt erstmal auf das Zimmer im 3. Stock. Wir haben zwei
getrennte Betten, Klo, Dusche und Waschbecken teilen wir uns mit einem
anderen Zimmer, das aber wohl nicht besetzt ist - sofern überhaupt noch
andere Zimmer im Moment belegt sind.
Als wir wieder runterkommen, holt die Frau ein älteres Mädchen
(wahrscheinlich ihre Tochter) hinzu, die sowohl Deutsch als auch
Englisch spricht und wir klären alles. Dann gehen wir jetzt erstmal in
die Stadt, kaufen etwas ein, begutachten den großen, schönen
Marktplatz mit dem Stöckl etwas genauer und marschieren hinauf zur
Kaiserpfalz. Dort dreht ein Team des Bayerischen Rundfunks gerade einen
Beitrag für die Abendschau. Die Pfalz selbst ist nicht übermäßig
groß, aber doch ganz nett. Die Highlights sind definitiv der Schwarze
Turm und die beiden übereinander gebauten Kapellen.
Wieder unten in der Stadt, besichtigen wir noch die Bartholomäuskirche,
die einen ziemlich voluminösen Eindruck hinterlässt, wobei sie auch
schon bessere Zeiten gesehen hat. Hier erfahren wir übrigens, dass
Balthasar Neumann in Cheb bzw. Eger mit deutschem Namen geboren wurde.
Auf dem Marktplatz kommt uns eine große Gruppe schwarz gekleideter,
wohl eher rechts einzuordnender Deutscher entgegen. Wir biegen beim
Neuen Rathaus lieber links ab, wo wir sogleich jede Menge Motorräder
finden - leider viele auch noch mit Nummernschildern direkt aus unserer
Gegend.
Nach einem Abstecher zum Franziskanerkloster, in dessen Kreuzgang uns
eine Frau kurz alles wichtige erklärt und in dessen Kirche gerade
archäologische Ausgrabungen und Renovierungen stattfinden, laufen wir
wieder zurück zum Wohnheim, bezahlen das Zimmern und stiefeln an noch
vielen recht einheitsgrauen Wohnhäusern vorbei zum Bahnhof, um unsere
Junior Pässe zu kaufen, wobei sich Christoph mein "Sträflings"-Foto
erschleichen will und um mit dem nächsten Zug nach Karlovy Vary zu
fahren, denn mit dem Wochenendticket der DB kann man auch mit den Zügen
in den grenznahen Gebieten in Tschechien fahren. Das mit dem Junior Pass
ist übrigens eine feine Sache, denn es gibt einen Junior Pass Léto (Léto=Sommer),
der von Juli bis Mitte September gilt, den Fahrpreis um 50% ermäßigt
und sage und schreibe nur 100,- Kč kostet! Bereits bei einer
längeren Bahnfahrt hat man damit schon gespart. Und falls man für den
Junior Pass zu alt ist, gibt es noch die Karta Z, die genauso viel
kostet, aber eine nicht ganz so hohe Ermäßigung bietet. Übrigens
sollte man nicht erwarten, dass in Cheb am Bahnhof am Schalter jemand
Englisch oder Deutsch kann - höchstens vielleicht im ČD Centrum.
Wir sitzen in unserem ersten tschechischen Zug. Im Gang unseres Wagens
läuft ein Soldat (oder Wehrpflichtiger?) in voller Montur samt Gewehr
und Reisetasche (er fährt also wohl entweder nach Hause oder zur
Kaserne und ist folglich wohl kaum im Dienst) an unserem Abteil vorbei.
Naja.
Langsam kommt die Sonne raus, der Himmel strahlend blau und die
Landschaft leuchtet in all ihren prächtigen Farben. Sehr idyllisch.
In Karlovy Vary horní nádraží angekommen, hüpfen wir
in den kleinen, roten Schienenbus, der uns zum dolní nádraží bringt
und laufen auch gleich los in Richtung Zentrum. Man merkt gleich, dass
es ein Touristenort ist. Die Fußgängerzone ist wunderbar hergerichtet
und die meisten Gebäude haben ein perfektes Erscheinungsbild. Der hohe
Anteil von Russen an den Gästen, den uns die Frau im Zug nach Cheb
geklagt hat, gibt es wirklich, wobei sich viele Geschäfte offenbar
darauf eingestellt haben mit Schildern und Speisekarten auf Russisch. Am
Ende der Fußgängerzone liegt der Klotz 'Hotel Thermal' und bricht den
sonst ziemlich durchgängigen Stil. Von hier aus geht es einen kleinen
Park entlang zum Lázně III, wo wir auch die erste Quelle finden,
an der sich einige Leute mit ihren Schnabeltassen bedienen. Auf dem
Rückweg probieren wir das Wasser auch da mal und fragen uns, ob das
wirklich so gesund sein kann bei diesem metallisch-schwefeligen
Geschmack.
Zuerst geht es aber weiter das Tal entlang. Karlovy Vary ist wirklich
eine schöne Stadt mit nahezu perfekter Kurhausatmosphäre. An der einen
Kolonnade, der modernen aus Beton und Glas (Vřídelní Kolonáda =
Geysir-Kolonnade, weil in deren Inneren ein kleiner Geysir sprudelt),
kaufen wir aufgewärmte Karlsbader Oblaten und haben damit, wie wir im
Nachhinein feststellen, einen Marco Polo Insider-Tipp genossen. Lecker,
lecker! :-) Und das auch nur, weil sich Christoph daran erinnert hat,
schon einmal einen Ausflug hierher gemacht zu haben, als er mit seiner
Familie Ende der 80er in Dresden war.
Wir laufen noch bis zum Grand Hotel Pupp (ohne Zweifel, unser
Lieblings-Grand-Hotel;-)) und dem historischen Lázně I, kehren
dann aber wieder um, damit wir auf jeden Fall die Bahn um halb 10
zurück nach Cheb kriegen. Dank Wochenendticket haben wir heute ja auch
auf den grenznahen Strecken der ČD in allen Os- und Rychlík-Zügen
freie Fahrt. Vor der Rückfahrt geht's noch kurz zu McDonald's, um
wenigstens noch irgendwas warmes zu essen. Ich bin mal wieder
begeistert. Englisch, Deutsch - beides kein Problem: "Nehmen Sie
bitte Platz." Sehr freundlich.
Auf der Rückfahrt sind nicht viele Leute im Zug. Irgendwann nach der
Kontrolle kommt der Schaffner noch mal zu uns. Er bringt uns eine
deutsche Zeitung, die er in einem anderen Wagen gefunden hat, genauer
gesagt den 'Mannheimer Morgen'. Eines muss man den Leuten wirklich
lassen: Trotz gelegentlicher Verständigungsprobleme (einige können
halt doch nur Tschechisch, siehe Schalter am Bahnhof in Cheb), sind die
meisten Leute doch immer sehr freundlich und zuvorkommend. :-)
Zurück im Wohnheim in Cheb durch die nicht besonders belebte gelblich-orange
beleuchtete Straße, sitzt eine andere Frau dort am Empfang und scheint
total überrascht zu sein, dass wir kommen. Aber wir kriegen unseren
Schlüssel und fallen todmüde ins Bett. Was mein Sicherheitsgefühl
anbelangt, ist mir noch etwas mulmig zumute - hoffentlich zu unrecht.
FAHRTENBUCH |
abfahrt |
start |
ziel |
dauer |
km |
typ |
preis |
7.15 |
Obernburg-
Elsenfeld |
Aschaffenburg |
0h20 |
22 |
RB |
15€* |
8.29 |
Aschaffenburg |
Bamberg |
1h55 |
163 |
RE |
10.37 |
Bamberg |
Lichtenfels |
0h19 |
32 |
RE |
11.06 |
Lichtenfels |
Hof |
1h24 |
95 |
RE |
12.38 |
Hof |
Marktredwitz |
0h27 |
42 |
RE |
13.10 |
Marktredwitz |
Cheb |
0h24 |
27 |
VLB |
18.07 |
Cheb |
Karlovy
Vary
horní n. |
1h04 |
52 |
Os |
19.16 |
Karlovy
Vary
horní n. |
Karlovy
Vary
dolní n. |
0h09 |
3 |
Os |
21.30 |
Karlovy
Vary
dolní n. |
Karlovy
Vary
horní n. |
0h05 |
3 |
Os |
21.37 |
Karlovy
Vary
horní n. |
Cheb |
1h02 |
52 |
Os |
|
|
Obernburg-
Elsenfeld |
Cheb |
7h09 |
491 |
|
15€ |
|
*Preis
pro Person, in diesem Fall zu zweit das
Schönes-Wochenend-Ticket der DB für 30€, das auch auf den
grenznahen Strecken der ČD gilt. Da wir hier im Fahrtenbuch
immer nur den Preis pro Person angeben, macht das also in
unserem Fall 15€ für jeden.
VLB=Vogtlandbahn: privater Bahnbetreiber, bei dem DB/ČD
-Tickets gelten. |
Randnotiz:
In der Titelzeile hab ich vom "Ostschock" geschrieben, wozu
ich noch kurz etwas schreiben möchte, nachdem wir nun die ganze Reise
hinter uns haben und wieder daheim sind. Es ist vielleicht ein Gefühl,
das bei mir (Matze) ausgeprägter war als bei Christoph, oder er hat es
einfach nur nicht so krass formuliert. Vorab: die Tour war wirklich
toll, absolut interessant und ich kann nur jedem empfehlen, so bald wie
möglich den Osten Europas zu besuchen. Der "Ostschock" ist
vielleicht noch einmal richtig aufgetreten, nämlich als wir nach
Rumänien gefahren sind. Ich finde einfach, dass einmal Tschechien und
später Rumänien eine gewisse Grenze darstellen, was den Wohlstand und
die Lebensart und nicht zuletzt auch noch vor anderthalb Jahrzehnten die
politischen Systeme anbelangte. Nicht leugnen darf man allerdings auch,
dass bereits wenn man von Marktredwitz in Richtung Tschechien aufbricht,
auch auf bayerischer Seite schon vieles wie in Tschechien auch aussieht
- auch grau und nicht unbedingt auf dem neuesten Stand. Das lässt sich
schwer in Worte fassen, es ist einfach ein leicht beklemmendes Gefühl.
Als einen krassen "Ostschock" würde ich auch ein Erlebnis aus
dem Jahr 2002 beschreiben. Damals war ich mit Christoph zum ersten Mal
in Berlin und wir sind am Potsdamer Platz in die U-Bahn gestiegen, um
zum Alexanderplatz zu fahren. Als wir dort ausgestiegen sind, habe ich
mich auch wie in einer anderen Welt gefühlt. Es ist ein seltsames,
leicht bedrückendes, aber mich absolut faszinierendes Gefühl, da
dieses ja vor allem durch Architektur und Städteplanung aufgebaut wird
- und vielleicht gerade deshalb faszinierend, weil man eben in
"Westeuropa" meist doch eher anders gebaut. Dann ist der
"Ostschock" schon auch noch dadurch bedingt, dass einfach
vieles noch grau ist und so eher Tristesse erzeugt. Ebenso die Tatsache,
dass man auf viele Gebäude und Plätze trifft, die noch nach auf eine
Sanierung warten. Nicht, dass es manchmal in Deutschland nicht auch so
aussehen würde, aber es wirkt meistens doch irgendwie gepflegter. Wenn
ich an den Blick aus unserem Wohnheimzimmer in Cheb denke, hat mich das
am ersten Tag schon etwas mitgenommen, auch wenn es im Nachhinein schon
absolut okay war. Vielleicht kommt da noch hinzu, dass viele
Reiseführer über Osteuropa gerne Schwärmen und mich auch sehr
begeistert haben, doch im Endeffekt muss ich sagen, dass dadurch in mir
Erwartungen und Hoffnungen geweckt wurden, die mit der Realität einfach
nicht so übereinstimmen. Viele Städte verfügen beispielsweise über
einen wirklich toll herausgeputzten Marktplatz, aber bei einem Blick in
die Seitenstraßen wird das wahre Gesicht einer Stadt dann schon viel
deutlicher. Allerdings sei auch angemerkt, dass die Fassade eines Hauses
nichts über das Innere aussagen muss. Denn oftmals sind Häuser, die
äußerlich vielleicht noch den ein oder anderen Makel haben, von innen
doch gut erneuert. Bei unserem Wohnheim in Cheb genauso. Okay, mag auch
logisch sein, schließlich ist das Innenleben eines Hauses ja für den
Wohnkomfort doch erst einmal das wichtigere. Ich hoffe mal, ein bisschen
besser meinen "Ostschock" verständlich gemacht zu haben, aber
das musste jetzt einfach mal für den ersten Tag sein, da ich mir
hierüber wirklich sehr viele Gedanken gemacht habe.
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Der herausgeputzte Marktplatz von Cheb.
weitere Bilder aus Cheb
"Live" von
der Dreifaltigkeitssäule in Karlovy Vary blicken wir auf die
Marktkolonnade.
weitere Bilder aus Karlovy Vary
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