MÄHREN: HEISS UND GELB
Draußen in der Küche spült
jemand ab. Es ist auch schon hell draußen. Wir haben doch nicht etwa
verschlafen? Ich hole mein Handy von der Steckdose, das ich hier endlich
mal aufladen konnte (in Prag hatten wir keine Steckdose auf dem Zimmer -
keine einzige! -, dafür hier in České Budějovice
mehr als genug), schau auf die Uhr: 4:56 Uhr! Och nee. Ich leg mich
wieder hin.
Irgendwann wache wieder auf. Es ist schon total hell draußen. Ein Blick
auf die Uhr: kurz nach sechs. Noch ne halbe Stunde, bis der Wecker
klingelt.
Das Bad ist frei, als ich aufstehe. Wunderbar. Möglichst zügig machen
wir uns fertig, besorgen beim Julius Meinl noch Verpflegung in Form von
Brötchen, Käse, Leberkäse, Stangen, Keksen und Wasser bzw. Wasser mit
Zitronengeschmack, kaufen Tickets nach Brno und steigen in den Zug, der
schon schon auf dem Gleis wartet.
Wir spielen mit dem Gedanken, einen Abstecher nach Telč
einzuschieben, weil wir es ja so geplant haben. Nur hätten wir dann
heute kaum Zeit für Brno. Und nur wegen einem Platz und dem
Renaissanceschloss nach Telč zu fahren... Wir haben ja schon genug
Plätze und Schlösser inzwischen gesehen. Brno bietet da doch einfach
mehr.
So beginnen unsere 4,5 Stunden Zugfahrt nach Mähren. Mein erster
Eindruck: Während es in Böhmen viele Wiesen und Wälder gibt, besteht
Mähren vor allem aus Feldern und Wäldern. Vor allem die Felder sind
gigantisch. Dazwischen aber auch immer mal wieder idyllische Wälder mit
schönen Wochenendsiedlungen, die hierzulande viel weiter verbreitet zu
sein scheinen als bei uns. Übrigens: Der Zug nach Telč wartet auf
den Zug aus České Budějovice in Kotelec - nur zur
Information. Das Fazit unserer Fahrt: Böhmen ist grün, Mähren ist
gelb.
In Brno kommen wir auf einem Seitengleis an. Direkt gegenüber des
Bahnhofs auf der anderen Straßenseite befindet sich ein Büro der
Touristeninformation, die uns sowohl bei der Zimmersuche als auch bei
der Buchung einer Führung durch die Villa Tugendhat von Mies van der
Rohe behilflich ist.
Das Zimmer befindet sich (mal wieder) in einem Studentenwohnheim ganz in
der Nähe, das dazu auch noch recht neu wirkt. Wie in Cheb auch teilen
sich zwei Doppelzimmer ein Badezimmer. Als Bonus kriegt man hier jedoch
noch einen Fernseher. Der Spaß kostet zusammen 520Kč. Kurz erholen
- vor allem von dieser brütenden Hitze, die so richtig ekelig
schweißtreibend ist. Außerdem mag ich ein frisches T-Shirt anziehen,
weil ich voll die Schokoflecken von den Disko-Keksen hab.
Wir ziehen los in die Stadt. Auf dem Marktplatz der Altstadt (Zelný trh)
finden gerade ein paar Sanierungsarbeiten statt, doch daneben läuft das
normale Markttreiben weiter. Beim Julius Meinl (die Ösis scheinen die
Supermarktlandschaft in Tschechien enorm präsent zu sein) besorgen wir
was zu trinken, bevor wir hinauf zur Kathedrale steigen. Die wurde im
Inneren fast komplett barockisiert, obwohl sie von außen total gotisch
ist. Zurück auf dem Zelný trh begutachtet Christoph den
Parnassusbrunnen ausführlich, bevor wir in die Krypta des
Kapuzinerklosters gehen, um uns mumifizierte Körper anzusehen. Wie in
Kutná Hora trifft für mich "bizarr" am besten das Gesehene,
auch wenn ich mir selbst bei diesen Mumien nicht vorstellen kann, dass
das mal richtige, lebende Menschen waren. Vielleicht hab ich auch ein
Problem damit, diese Mumien überhaupt als Menschen anzusehen. Christoph
hat sowohl in Kutná Hora als auch hier einen deutlich geschockteren
Eindruck gemacht als ich.
Wir begeben uns zum großen Platz, auf dem man beim Schlendern durch die
geschäftige Fußgängerzone automatisch gelangt. Im Schatten der
großen, mal mehr, mal weniger prächtigen Häuser lässt es sich noch
aushalten. Es geht noch zur Jakobskirche, um die kleine Figur zu sehen,
die ihren blanken Hintern in Richtung Kathedrale streckt, dann haben wir
noch etwa zwei Stunden Zeit, bis wir an der Villa Tugendhat sein sollen.
Zu wenig, um auf die Burg zu steigen oder ins Mendelmuseum zu gehen.
Beides verschieben wir auf morgen Vormittag, zumal beides auch in der
total anderen Richtung liegt. Statt dessen durchstöbern wir mal einen
CD-Laden, in dem im Hintergrund gerade die neueste Smash-Mouth-CD läuft
und begutachten die aktuellen Charts usw. Bei McDonald's verspeise ich
mal eine ChickenRoll, Christoph kauft bei Kenvelo im 'Happy Summer Sale'
ein grünes T-Shirt, wir schauen auch noch in den H&M und kriegen
jedes Mal einen Kälte- bzw. Hitzeschock durch die teilweise sehr stark
tiefgekühlten Läden. Fast schon schockgefroren. An manchen Läden
brauchen wir ja nur vorbeizugehen und frieren regelrecht ein.
Wir machen uns auf den Weg zur Villa Tugendhat. Laut allen einsehbaren
Plänen geht es einfach immer geradeaus. Irgendwann, nach einer Weile,
sind wir uns nicht mehr ganz so sicher. Wir schauen jetzt doch mal kurz
auf dem Flyer nach und stellen fest, dass wir gerade an der angegebenen
Straßenbahnhaltestelle stehen. Doch nicht zu weit gelaufen. Bei der
Hitze und der Sonne macht das nämlich absolut keinen Spaß. Jetzt
entdecken wir auch ein Schild. Links geht's weiter.
Wir laufen noch ein Stück, dann stehen wir als erste davor. Die Villa
macht ja keinen ganz frischen Eindruck mehr, aber naja. Mit vier anderen
Pärchen werden wir durchs Haus geführt. Eines davon ist ein
holländischer Architekt mit seiner Frau, der voll auf Mies van der Rohe
zu stehen scheint, wie wir in Gesprächen mit ihm so heraushören. Wir
bekommen einen deutschen Text und nach den Tschechen eine kurze extra
Erklärung in Englisch bei der Führung durch eine Studentin, allerdings
auch erst, nachdem sich der holländische Architekt beschwert hat, weil
sie zuerst gar nichts auf Englisch gesagt hat. Von der
Originalausstattung ist nicht mehr allzu viel erhalten, aber man kriegt
doch nicht zuletzt durch die ausgestellten Fotos einen recht guten
Eindruck, wie das ganze Haus einmal konzipiert war. Zum Abschluss darf
man eine Runde durch den Garten laufen, vor allem um Fotos zu machen. In
den nächsten zwei Jahren soll die Villa Tugendhat (übrigens auch
UNESCO-Weltkulturerbe) komplett renoviert werden, denn wie man auf den
Fotos auch sieht, ist das Gebäude wirklich nicht mehr im besten
Zustand, vor allem von außen.
Zurück in der Innenstadt kaufen wir - mal wieder - nach vergeblicher
Toilettensuche in einem Park bei Julius Meinl, diesmal ein anderer in
einer kleinen Einkaufspassage, in der es auch Toiletten gibt. So, mit
Getränk und leerer Blase machen wir uns auf die Suche nach einem
gescheiten Restaurace fürs Abendessen. In der Nähe des Zelný trh
entscheiden wir uns fürs Restaurace Ačko. Die beiden Kellner sind
eindeutig schwul, vielleicht sogar zusammen, vielleicht gehört ihnen
der Laden sogar, aber auf jeden Fall finden sie das "Schnappi"-Lied
ganz toll... Wir sitzen auf einem schmalen Balkon zwischen roten
Geranien und lassen es uns schmecken. Als wir fertig sind und rausgehen,
entdecken wir noch eine Dachterrasse, die riesig und ebenfalls gerammelt
voll ist.
Wir schlendern noch etwas durch die Stadt und werfen am Obelisken einen
Blick auf Brno von oben. In einer Kolonnade findet wohl gerade so etwas
wie ein Salsa-Tanzkurs statt. Auch wenn Brno von hier aus nicht
unbedingt seine schönste Seite zeigt, ist es mit der einsetzenden
Dämmerung doch irgendwie gemütlich - was auch einige andere Leute
finden, die es sich hier auf den Parkbänken bequem gemacht haben.
Unser abendlicher Streifzug führt uns noch am beleuchteten Rathaus und
an der Jakobskirche vorbei, hinter der übrigens gerade ein
Red-Bull-Barkeeper-Wettbewerb stattfindet. Mit möglichst spektakulären
Einlagen werden hier Cocktails zubereitet und anschließend im Publikum
serviert. Uns hat es vor allem hierhin gezogen, weil man die Musik und
das Gelaber des Moderatoren schon von weitem gehört hat.
Auf dem Weg aufs Zimmer begegnet uns eine Frau mit ihrem Kind, die ihren
"Kampfhund" nicht so ganz unter Kontrolle zu haben scheint,
denn als sie ihn an die Leine nehmen will, haut der ihr ab. Also nimmt
sie ihn wieder von der Leine, als er wieder bei ihr ist, und der Hund
rast wie ein Bekloppter durch die Gegend. Aber er hat, glaub ich, einen
Maulkorb gehabt - wie überhaupt sehr viele Hunde hier in Tschechien.
Den Abend lassen wir mit dem Fernsehprogramm ausklingen. Es gibt ganze
zehn Sender, davon aber sogar zwei deutsche: RTL und Vox. Auf Vox läuft
eine SpiegelTV-Reportage über den Umbau der MS Europa. Ich find's immer
noch ziemlich bescheuert, jeden Tag aus Deutschland frisches Obst aus
und frisches Gemüse dem Schiff hinterher zu fliegen.
FAHRTENBUCH |
abfahrt |
start |
ziel |
dauer |
km |
typ |
preis |
8.13 |
České
Budějovice |
Brno hl.n. |
4h21 |
236 |
R |
118Kč |
 |
|
České
Budějovice |
Brno hl.n. |
4h21 |
236 |
|
118Kč |
 |
R=Rychlík,
ein einfacher Schnellzug, entspricht etwa dem RE bei uns.
Die Angaben bezüglich der Dauer der Fahrten stammen aus dem
Kursbuch und stimmen nicht unbedingt mit der realen Fahrzeit
überein. Da ich nämlich keine Lust hatte, mir penibel jede
Verspätung aufzuschreiben, sei hier einfach mal die Zeit
erwähnt, die wir normalerweise im Zug hätten sitzen sollen.
Das trifft übrigens auf die Fahrtenbücher zu allen Tagen zu. |
|

Es wird langsam Nacht in Brno...
weitere Bilder aus Brno
        
|