SCHWARZES MEER, WIR KOMMEN!
Bucureşti. Wir
haben mal wieder zu lange
geschlafen. Verdammt. Irinas Mutter weckt uns. Fürs Duschen ist es
jetzt doch etwas zu knapp. Wir ziehen uns schnell an, packen zusammen
und frühstücken noch kurz, bevor wir mit Irina zu ihrer Mutter ins
Auto springen. Wieder werden die Türen verriegelt und Irinas Mutter
bekreuzigt sich sogar, als sie auf die Hauptstraße einbiegt. Haben die
Leute hier so viel Angst um ihr Leben? Denn wir haben das Bekreuzigen
auch schon öfters bei Fußgängern beobachtet, die eine stark befahrene
Straße überqueren wollen. Teilweise muss Irinas Mutter richtig tiefen
Schlaglöchern oder großen Seen auf der Straße (es hat heute Nacht
gewittert und viel geregnet) ausweichen. Aber wir schaffen es ohne
Probleme zum Gară de Nord. Dort heißt es schnell aussteigen, denn
wir halten in zweiter Reihe. Zum Abschied überreichen wir Irina und
ihrer Mutter noch das Buch und die Pralinen als kleines Dankeschön.
Schließlich wollen wir uns ja auch für ihre Gastfreundschaft bedanken.
Und ich glaube, Irina hat sich über das Buch auch sehr gefreut.
Am Bahnsteig warten etliche Leute auf den gleichen Zug wie wir, der
nämlich noch nicht mal am Gleis steht. Alle sind mit dicken, schweren
Koffern und Taschen ausgerüstet. Alle Welt strömt ans Meer.
Schließlich kommt der Zug - und er ist echt richtig lang. Im Getümmel
suchen und finden wir unseren Wagon, unser Abteil und unsere Plätze.
Das Abteil ist komplett voll, aber immerhin sind das hier recht neue
Wagen mit nur sechs Plätzen pro Abteil und keinen acht. Die Fahrt
beginnt ziemlich monoton. Es geht immer nur geradeaus und die Landschaft
ist einfach nur flach. Mit der Zeit wird es auch immer wärmer und
schwüler. Zwar nicht unerträglich schwül, aber doch recht unangenehm.
Deshalb bin ich auch während des Tagebuchschreibens öfters mal
eingenickt. Das "Highlight" dieser Fahrt habe ich allerdings
nicht verschlafen: die zweimalige Überquerung der Donau. Zuerst eines
Seitenarms bei Feteşti und
dann den richtig großen Strom vor Cernavodă.
Die Brücken sind jeweils wirklich gewaltig und und die Überfahrten
zutiefst beeindruckend. In Budapest war die Donau ja schon riesig, aber
das hier ist echt noch eine ganze Nummer riesiger!
In
Constanţa
steigen die meisten Leute aus - wir ebenso. Es ist ein heilloses
Durcheinander. Ständig werden wir von allen möglichen Leuten
angesprochen, ob wir ein Zimmer wollen. Mamaia hier, Mamaia dort. Einer
versucht es bei uns auf Deutsch, aber wir wollen uns nicht als Deutsche
ausgeben. Er will uns auch in Zimmer anbieten, allerdings auch wieder in
Mamaia. Dabei wollen wir eher hier in der Stadt bleiben, damit wir
morgen schnell weiter können - und außerdem ist heute eh nicht so das
Strandwetter. Er ist ein bisschen hartnäckig, aber zum Glück stehen im
Lonely Planet die Nummern der Busse in Richtung Zentrum. Wir wollen
einfach nur raus aus diesem Getümmel. Aber würden wir ein Zimmer in
Mamaia suchen - das hier ist echt die beste Gelegenheit, was günstiges
abzustauben. Der Bus ist ebenfalls wie der Bahnhof und dessen Vorplatz
ziemlich voll.
Irgendwann, als ich es gefühlsmäßig für angebracht halte, steigen
wir aus und machen uns auf die Suche nach dem 'Info Litoral Tourist
Information Centre' (www.infolitoral.ro).
Vielleicht hätten wir uns die Adresse mal genauer anschauen sollen,
dann würden wir zumindest nicht so umherirren. Denn eigentlich sind
hier nur Plattenbauten in der Str Traian, mal abgesehen vom
Marinemuseum. Auf den ersten Blick sieht es fast danach aus, als gäbe
es das Büro gar nicht mehr, zumal uns die Gegend dafür sowieso etwas
suspekt vorkommt, denn normalerweise liegt eine Touristeninformation ja
nicht in so einer Gegend, sondern dort, wo auch die Touristen
herumlaufen. Auf der Straße liegt übrigens ein überfahrener Hund,
dessen Blut noch rot ist und dessen Eingeweide herausquellen. Als ich
Christoph später darauf anspreche, hatte er den Hund gar nicht gesehen!
Naja, vielleicht auch besser so. Der Anblick ist nämlich echt
widerlich.
Nach der vergeblichen Suche, stellen wir bei einem erneuten Blick in den
Lonely Planet fest: Es ist ja Sonntag und da haben die ja sowieso nicht
geöffnet! Ach Mann, so ein Käse. Auf jeden Fall brauchen wir eine
Unterkunft für heute Nacht, denn, ganz im Ernst, übermäßig einladend
hat die Stadt nämlich bisher nicht ausgesehen, vor allem dafür, dass
wir schon im Zentrum sind. Müssen wir also wohl oder übel auf unsere
Reiseführerempfehlungen zurückgreifen, denn zum Bahnhof zurückfahren
muss ja auch nicht unbedingt sein. Das 'Hotel Tineretului' wird als
billigstes empfohlen. 23€ für das Doppelzimmer im "five-storey
two-star hotel" mit "neat, clean rooms". Was
heißt "neat"? Hoffentlich nichts negatives. Es ist nicht so
weit, also lassen wir's halt mal auf einen Versuch ankommen.
Der Weg dorthin ist allerdings alles andere als einladend, dabei gehen
wir gerade in die Altstadt. Oder liegt es vielleicht genau daran!? Wir
landen zuerst in einer Parallelstraße. Täuscht mich das Gefühl, oder
nimmt wirklich die Zahl der Straßenköter zu, umso östlicher wir
kommen? Irgendwann taucht ein grün überwuchertes Grundstück auf. Ach
ja, auf der anderen Seite liegt das Hotel. Sieht passabel aus, würde
ich sagen. Der Marco Polo empfiehlt es übrigens auch als "Hotel
für die Jugend, preiswerter als die meisten anderen Unterkünfte. Gut
besuchtes Restaurant." Na da lassen wir uns doch mal
überraschen. Die Frau an der Rezeption ist ganz nett, sie hat auch noch
Zimmer frei. Wunderbar. Das Doppelzimmer kostet 89 RON plus 2,64 RON
Steuern, macht also 91,64 RON, etwa 26€, sogar mit Frühstück. Kann
man auf jeden Fall mit leben.
Das Treppenhaus und die Flure sind mit elendig langen Laufteppichen
ausgelegt, die unzählige Falten werfen. Besonders viel scheint hier drinnen
in den letzten Jahren nicht gemacht worden zu sein. Das Zimmer ist okay,
wenn auch alles nicht mehr auf dem neuesten Stand. Wir haben sogar einen
Fernseher! Im Bad können wir wenigstens mal Zähne putzen. Das haben
wir nämlich heute Morgen auch nicht mehr geschafft. Von unserem kleinen
Balkon hat man ein bisschen einen Blick aufs Meer und ansonsten auf das,
was sich so ein bisschen "Altstadt" nennt, aber schon jetzt so
überhaupt keinen tollen Eindruck macht. Ganz im Gegenteil. Aber
irgendwo müssen doch dieses tolle Jugendstil-Kasino sein und die
Moschee sein, von denen so schöne Fotos im Reiseführer sind! Ich kann
mir echt beim besten Willen nicht vorstellen, dass die hier sein sollen.
Echt nicht! Für den Moment zumindest setzt Constanţa
die deprimierende Stimmung aus Bucureşti jedenfalls
leider fort. War etwa so die folgende Passage aus dem Marco Polo
auszulegen gewesen?: "Hafenstädte besitzen immer ein
eigenartiges Flair. Das von Constanţa, dem größten Hafen
Rumäniens, wirkt besonders malerisch. Ist das noch Europa oder schon
Orient? (...) Heute ist Constanţa (313 000 Ew.) nicht nur
eine der größten Städte Rumäniens und ein Zentrum für Seehandel
(unweit mündest der Donaukanal) und Tourismus, sondern auch eine
höchst interessante multikulturelle Begegnungsstätte - eine Stadt von
träger Schönheit." Wie, bitte schön, ist das zu deuten? Oder
ein anderes Zitat aus dem Lonely Planet: "If all port cities
have an air of mystery, Constanţa's comes in blustery gusts."
Ich werde daraus einfach nicht schlau. Waren die in der gleichen Stadt
wie wir? Oder haben wir bisher nur die falschen Ecken gesehen? Ich
schlage Christoph vor, dass wir vielleicht ja auch zwei Nächte hier
bleiben könnten und dann morgen nach Mamaia an den Strand fahren, denn
Mamaia ist ja der Vorzeige-Badeort der Küste. Doch er will weiter,
keine Zeit verlieren, um nicht später als irgendwie nötig nach Hause
zu kommen, denn zuhause muss er den Stoff aus zwei Semestern Physik lernen
für die Klausur Mitte September.
Wie dem auch sei, wir wollen jetzt die wahre Altstadt sehen. Der
Bulevardul Tomis, an dem unser Hotel liegt, mündet direkt in den Piaţa
Ovidiu, benannt nach dem römischen Dichter Ovid, dessen große
Bronzestatue hier mittendrin steht, umparkt von Autos. Man munkelt ja,
dass Ovid die Stadt gehasst haben soll, wobei allerdings auch zu
erwähnen wäre, dass er hierher verbannt wurde. Das mächtigste
Gebäude am Platz ist das Archäologische Museum, doch zunächst trübt
mal wieder etwas Enttäuschung das Gemüt. Auf dem Stadtplan hat dieses
Viertel hier ja ganz nett ausgesehen. Im Museum befindet sich eine
Toilette, die wir eben schnell mal benutzen, bevor wir neben dem Museum
mal einen Blick auf den großen Hafen werfen. Der sieht schon echt
beeindruckend aus.
Ich möchte zur Moschee, denn ich war noch nie in einer Moschee. Sie
befindet sich gerade einen Block südlich. Touristen gibt es hier
übrigens schon ein paar, denn die Stadt lebt ja doch ein bisschen
davon. Der Eintritt in die Moschee kostet pro Nase 2 neue Lei. Der
Innenraum ist nicht so besonders, dafür dürfen wir aber auch aufs
Minarett hinaufsteigen. Zwar ist dort nicht so viel Platz, aber immerhin
bekommen wir mal einen gescheiten Eindruck von der Stadt. Da stehen
einerseits Gebäude in klein, die ein bisschen an das frühere Bukarest
erinnern, aber andererseits immer wieder dazwischen hässliche,
hingeklotzte Bauten oder aber einfach nur Lücken. Wie ein
Flickenteppich.
FAHRTENBUCH |
abfahrt |
start |
ziel |
dauer |
km |
typ |
preis |
8.25 |
Bucureşti Nord |
Constanţa |
2h42 |
225 |
R |
29,40RON* |
 |
|
Bucureşti
Nord |
Constanţa |
2h42 |
225 |
|
29,40RON |
 |
R=Rapid
*RON=lei noi=neuer Lei (10RON = ca. 3,5€), seit 1.7.2005
parallel in Verwendung mit dem alten Lei (10RON=100.000 alte Lei) |
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Richtig viele Leute warten in Bucureşti auf
den Zug zum Schwarzen Meer. Es herrscht rege
Urlaubsaufbruchstimmung.
weitere Bilder von der Fahrt


Der
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