ENDLICH IN TRANSSILVANIEN
Wir haben verschlafen. Um
sieben werden wir von Andreis Vater geweckt, packen schnell unsere
Sachen, bekommen trotzdem noch ein Frühstück, bevor wir uns gegen 7.20
Uhr verabschieden und von Andrei zum Bahnhof gefahren werden. Der meint
zu uns während der Autofahrt, dass wir doch noch ein oder zwei Tage
bleiben sollen und schlägt uns vor, heute zum Beispiel mit ihm zum 'Ştrand'
(=Freibad) zu gehen. Er bietet uns auch sein Zimmer gerne noch an. Doch
wir lehnen dankend ab. Übrigens kommt Andreis Freundin aus der Nähe
von Sibiu, die er vor ein paar Wochen dort auch besucht hat mit seinem
alten Büschen, das leider unterwegs den Geist aufgegeben hat. Gestern
hatte er sogar herumüberlegt, ob er uns vielleicht nicht sogar nach
Sibiu begleiten wollte bzw. uns mit dem Auto dort hinfahern wollte, doch
aus alldem ist nichts geworden.
Am Bahnhof hilft uns Andrei beim Fahrkartenkauf. Die Schlange am
Schalter ist ziemlich kurz. Umso besser. Vielleicht mag es an manchen
Bahnhöfen ja wirklich diese Horror-Szenarien vom stundenlangen Warten
geben, aber hier am Nordbahnhof von Timişoara
jedenfalls nicht. Zum ersten Mal muss ich mit Lei bezahlen - und das ist
echt nicht leicht, denn es gibt ja neue Lei und alte Lei, die sich nur
durch 4 Nullen unterscheiden. Gestern haben wir 1000 neue Lei geholt.
Die Frau hinterm Schalter will so etwa 600 Lei von mir. Alte Lei,
wohlgemerkt, von denen sie natürlich nicht wirklich 600, sondern
600.000 will. Aber die 'Tausend' sparen sich die Leute hier wohl gerne.
Und wenn sie sagt, dass sie 600 alte Lei (also eigentlich meint sie ja
600.000 alte Lei) von mir will, sind das 60 neue Lei. Ich gebe ihr
einfach mal 100 neue Lei und stecke das Wechselgeld einfach ein, denn
ich hab ja sowieso keine Ahnung, wie viel ich gerade wirklich bezahlt
habe. Zur Verwirrung kommt nämlich noch das rumänische
Fahrkartensystem hinzu. Das sind nämlich solche kleinen Pappkärtchen,
auf den ein bestimmtes Kilometerfenster steht und der Ort, an dem man
sie erworben hat (für uns 18 neue Lei) . Dazu kommt für den Accelart
(und alle anderen Schnellzüge) noch ein Zuschlag (10,70 neue Lei) und
eine Reservierung (1,60 neue Lei), von der ich nicht genau weiß, ob wir
so eine gekauft haben oder nicht, denn die Frau hat ein paar Zahlen auf
die Rückseite der Fahrkarte gekritzelt. Die Karten werden dann noch
gelocht. Auf jeden Fall wirkt das ganze System sehr antiquiert und ist
in Deutschland zum Glück vor einigen Jahrzehnten umgestellt
worden.
So, nachdem die Fahrkartenkaufaktion abgeschlossen ist, bringt uns
Andrei zum Zug mit seinen hellen, blauen und nicht mehr ganz neuen
Wagen. Wenn ich mir heute beim Schreiben dieses Textes die Fahrkarten
anschaue, haben wir wohl im Wagen 8 die Plätze 41 und 49. Bevor wir
einsteigen, verabschieden wir uns erst einmal von Andrei und er und
Christoph tauschen Handynummern aus. Im Zug suchen wir uns irgendein
freies Abteil. Ich muss echt sagen, ich bin ziemlich ängstlich und
verstört nach dem gestrigen Tag. Mein erster Eindruck von Rumänien war
zwar, dass die Leute enorm gastfreundlich ist, aber es sich wohl auch
genug Kleinkriminelle in diesem Land herumtreiben. Ich traue mich sogar
anfangs nicht, alleine das Abteil zu verlassen, um auf Toilette zu
gehen. Irgendwann muss aber Christoph. Und so bleibe ich alleine im
Abteil zurück. Mir sitzt einfach immer noch der Schrecken in den
Knochen, als mir da in Timişoara
einer gleich mein Handy abluchsen wollte, nachdem ich es zum allerersten
Mal in diesem Land herausgeholt hatte, denn, ja, wir fallen als
Touristen hier doch ziemlich stark auf und können leider auch praktisch
kein Rumänisch. Meine Angst geht sogar so weit, dass ich mich trotz der
absolut wunderschönen Landschaft draußen einfach nicht traue, die
Digicam herauszuholen. Im Nachhinein mag das etwas lächerlich
erscheinen, aber es war einfach so. Die Fahrt nach Sibiu führt nämlich
wirklich durch die malerischsten Gegenden, die ich je gesehen habe.
Viele Hügel, viele Wälder, viele grüne Wiesen, viele Felder, einige
Seen und Bäche... Und das alles so unberührt! Die Dörfer machen noch
so einen mittelalterlichen Eindruck, die Heuhaufen allerdings auch,
ebenso wie die Arbeitsweise der Menschen auf den Wiesen und Feldern. Das
ist Idylle pur. Die Kehrseite ist natürlich, dass das Leben in dieser
idyllischen Welt nicht ganz so einfach ist, denn sie ist ja nur so
idyllisch, weil sie vom Fortschritt noch "verschont" geblieben
ist. Besonders schön ist übrigens die zweite Hälfte der über sechs
Stunden dauernden Fahrt, wenn es langsam nach Siebenbürgen bzw.
Transsilvanien geht. Der strahlend blaue Himmel tut natürlich sein
übriges zum umwerfenden Landschaftsbild.
Je näher wir Sibiu/Hermannstadt kommen, desto geringer wird meine
Ängstlichkeit. Sie verschwindet zwar nicht sofort, aber als in der
Ferne Sibiu auftaucht, macht diese Stadt doch einen gänzlich anderen
Eindruck als Timişoara. Sie
wirkt so ruhig und beschaulich und ziemlich klein - und man sieht der
Stadt an, dass sie von Deutschen gegründet worden ist.
Mit Verspätung kommen wir in Sibiu an, wobei die auch
noch nicht so groß ist, denn die Aufenthalte in den Bahnhöfen
unterwegs sind wohl von vornherein sehr großzügig geplant. Auf dem
Bahnhof herrscht reger Betrieb. Ein Taxifahrer spricht uns an, doch wir
wollen zur Touristeninfo laufen, die nur etwa 750 Meter entfernt ist.
Auf dem Bahnhofsvorplatz tummeln sich etliche Taxis, Busse, Autos und
Menschen. Die Straße geht leicht bergauf zur Altstadt, aber es geht.
Gleich beim Bahnhof steht von der BRD-Bank ein modernes, verglastes
Gebäude, das so überhaupt nicht zu den ganzen eher älteren Gebäuden
passt.
In der eigentlichen Altstadt wird es gleich viel gemütlicher. Hier sind
sogar schon ein paar mehr Touristen. Bereits jetzt gefällt es mir hier
deutlich besser und ich fühle mich auch deutlich sicherer. Das
Touristenbüro befindet sich direkt am tollen Piaţa Mare, der
gerade neu gepflastert wird. Dort sprechen die Leute neben Englisch auch
Deutsch (okay, das Touristenbüro befindet sich auch in einer deutschen
Buchhandlung). Leider ist in der Stadt so ziemlich alles ausgebucht! :-O
Unglaublich. Aber es gibt noch ein paar Möglichkeiten. Zum einen das
Hostel, das direkt hier in der Nähe ist, oder die 'Pensiune Kon Tiki',
die auch nicht so weit ist, umgerechnet 28€ pro Zimmer und Nacht
kostet und von den Fotos her ziemlich toll aussieht. Weil wir uns mal
wieder ein bisschen Luxus verdient haben, entscheiden wir uns für 'Kon
Tiki'..
Neben der evangelischen Kirche müssen wir die Treppen, die übrigens
unten drunter mit Müll gefüllt sind, hinunter, am Wochenmarkt vorbei,
über den Cibin und schon sind wir an der Stelle, die die Frau im
Touristenbüro auf unserer Karte markiert hat. Aber hier ist keine 'Pensiune
Kon Tiki'. Wir suchen ein bisschen, finden aber auch die angegebene
Adresse 'Str. Tudor Vladimirescu nr. 12' nicht. Nach kurzem Überlegen
krame ich meine wenigen Rumänischkenntnisse zusammen und spreche eine
Frau an, die gerade an uns vorbei läuft. Sie versteht mich sofort und
zeigt uns auch gleich die Richtung. Okay, wir waren ja schon fast davor
gestanden. Trotzdem danke. Im Gegensatz zur Straße eben sind hier
wenigstens nicht alle Bürgersteige gerade aufgebaggert. Die Straßen,
die von der 'Str. Tudor Vladimirescu' abzweigen, sind auch schon nicht
mehr befestigt. Ein paar Straßenhunde streunen herum.
Nur noch einige Meter, dann stehen wir auch schon an der Rezeption. Das
Paar spricht Englisch, auch ein kleines bisschen Deutsch. Uns wird auch
ein Frühstück angeboten, dessen Preis wir aber auf dem Zimmer erst
noch einmal umrechnen müssen. Das Zimmer sieht noch richtig neu aus und
ist die 28€ auf jeden Fall wert. Endlich können wir die Zähne
putzen!
Nachdem wir uns frisch gemacht, uns gegen das Frühstück entschieden
und zwei Nächte festgemacht haben (das Zimmer ist so schön, da können
wir doch nicht morgen gleich weiter!), laufen wir wieder zurück in die
Stadt ins Touristenbüro, um dort zu erfragen, wie wir morgen nach Sighişoara
kommen, denn die Bahnverbindung ist äußerst schlecht. Aber Gott sei
dank gibt es Maxitaxis, die am Hotel Parc wegfahren, wenn auch nur drei
oder vier am Tag. Doch das ist allemal besser als mit dem Zug durch die
Gegend zu gurken. Und auch von den Zeiten ist es okay. Also fahren wir
morgen Mittag nach Sighişoara. Einen Besuch im Brukenthalmuseum
verschieben wir ebenfalls auf morgen, denn es ist schon nach 16.30 Uhr
und um 5 macht es zu.
Dafür nutzen wir den späten Nachmittag und ganz langsam anbrechenden
Abend zu einer Stadterkundung. Einmal geht es um den Piaţa Mare
herum (direkt drüber geht ja wegen der Baustelle nicht) und durch den 'Turnul
Sfantului' auf den Piaţa Mică, auf dem auch viel
gebaut und saniert wird. Dadurch bleibt uns auch der Weg zur
katholischen Kirche versperrt. Offen werden wir dagegen von der großen
evangelischen Kirche empfangen, die wirklich schön ist und auch so
manchen Grabstein mit deutscher Inschrift enthält. Wieder draußen,
landen wir auch gleich auf der 'Eisernen Brücke' (der ersten in ganz
Rumänien), die auch 'Lügenbrücke' genannt wird, weil hier früher die
Händler gefeilscht und die Verliebten sich ewige Liebe geschworen
haben. Hier befindet sich auch gleich ein sehr schöner Souvenirshop.
Viele Deutsche tummeln sich dort, aber hin und wieder hören wir auch
Engländer bzw. Amerikaner und ganz selten sogar mal Italiener und
Franzosen heraus. Inzwischen ist meine Ängstlichkeit von heute Mittag
nahezu gänzlich verschwunden. Sibiu ist nämlich einfach toll und zieht
mich so richtig in seinen Bann.
So langsam machen wir uns auf die Suche nach einem guten und nicht zu
teuren Abendessen. Hier am Piaţa Mică gäbe es schon mal eine
Pizzeria. Aber wir wollen erst einmal weiterschauen und machen uns nach
einem kleinen Schlenker durch die 'Str. Avram Iancu' auf zu den Resten
der Stadtmauer. Unterwegs sehen wir einige spanische Autos! Die müssen
ja eine ziemlich anstrengende Fahrt hinter sich haben! Entlang der
Stadtmauer kommen wir schließlich zum Piaţa Unirii, auf dem gerade
die Vorbereitungen für ein Folklore-Festival getroffen werden. Ist hier
vielleicht deshalb so viel los? Wir laufen noch ein Stück weiter, aber
hinter der Universität sieht es nicht mehr so spannend aus, weshalb wir
umdrehen und durch die Fußgägnerzone, die 'Str. Nicolae Bălcescu'
laufen. Hier ist ordentlich was los. Etliche Läden, einige
Essensmöglichkeiten, einst prächtige Hotels und mittendrin, ja, stehen
unsere alten, gelben, deutschen Telefonzellen! Hier sind die also
gelandet!
Wir haben Hunger! Am besten hat uns fast noch die Pizzeria am Piaţa
Mică gefallen. Also nicht lange gefackelt und ein paar Minuten
später sitzen wir auch schon am Tisch. Einige Touristen haben sich
ebenfalls dafür entschieden, sogar eine recht große deutsche Gruppe,
etwa in unserem Alter, die hier wohl eine rumänische Freundin besuchen.
Die Pizza ist wirklich gut - und im Gegensatz zu manchem Gast schmeckt
sie uns auch ohne Ketchup ausgezeichnet. Irgendwann tauchen bettelnde
Kinder auf, die vom Nebentisch zwei Stücke bekommen und erst
verschwinden, als sie eine Kellnerin vertreibt. Für zwei Pizzen, eine
Cola und eine Fanta bezahlen wir 34,50RON.
Nach dem Essen suchen wir das Theater und die angeblich in einer Baracke
untergebrachte deutsche Abteilung.
Aber wir finden es nicht, weil im Marco Polo offenbar eine falsche
Adresse angegeben ist. Dafür bekommen wir noch einen weiteren Eindruck von Sibius Altstadt, die auch immerhin seit 2004 auf der
Weltkulturerbeliste der UNESCO steht.
Christoph will unbedingt noch einmal beim Folklore-Festival
vorbeischauen. Ich möchte nicht unbedingt hin, aber eigentlich auch
nur, weil ich etwas Angst davor habe, bei Nacht durch die Straßen zu
unserer Pension zu laufen. Allerdings ich kann mich hier ja nicht
ständig von meiner Angst diktieren lassen. Darum gehen wir halt doch dorthin. Inzwischen
ist dort deutlich mehr los. Auf der Bühne zeigt eine jugoslawische
Truppe ihre Performance, wobei wir uns zuerst gar nicht so sicher sind,
was das für eine Sprache ist, in der sie singen. Die Moderatorin bringt
uns irgendwann dazwischen mal die Antwort. Eine Beobachtung am Rande der
Veranstaltung: Ein kleiner Junge, ein Mädchen und deren Mutter tauchen
auf. Sie scheinen obdachlose Roma zu sein, denn sie haben ihr weniges
Hab und Gut in einem Stofftuch an einem Stock dabei. Der kleine Junge
muss auf das Zeug aufpassen, während sich seine Mutter und seine
Schwester in die Menge begeben. Was sie dort tun, kann ich nur vermuten,
denn sie sind beide so klein, dass sie zwischen den ganzen anderen
Zuschauern nicht mehr zu sehen sind. Nach einer Weile kommt die bucklige
vermeintliche Oma zu dem kleinen Jungen, der von ihr kräftig geschimpft
wird und eine Ohrfeige verpasst kriegt, bevor sie ihn wegzieht. Man soll
ja keine Vorurteile gegenüber Sinti und Roma haben, aber zumindest
zeigt der Vorfall heute Abend sehr genau, wieso es diese Vorurteile
überhaupt gibt, auch wenn es nur ein paar schwarze Schafe sind, die
eine Minderheit so dermaßen in Verruf bringen.
Auf dem Rückweg kaufen wir noch auf den letzten Drücker in einem
Supermarkt ein. Als wir uns schließlich in
Richtung Pension machen, wird es schon langsam dunkel. Aber die Gegend,
in die wir müssen, scheint nachts ziemlich friedlich zu sein.
Auf dem Zimmer macht sich Christoph vor allem ans Waschen seiner Socken,
damit die morgen richtig trocknen können, wenn wir schon zwei Nächte
hier bleiben. Ansonsten nutzen wir mal das rumänische Kabelfernsehen
und bekommen auf HBO das Finale von 'Sex and the City' im Original mit
rumänischem Untertitel zu sehen. Und die Betten sind so toll! Da
schläft es sich doch richtig gut ein.
FAHRTENBUCH |
abfahrt |
start |
ziel |
dauer |
km |
typ |
preis |
8.28 |
Timişoara |
Sibiu |
6h29 |
307 |
A |
30,30RON* |
 |
|
Timişoara |
Sibiu |
6h29 |
307 |
|
30,30RON |
 |
A=Accelerat
*Preis laut Homepage der CFR in neuen Lei (10 lei noi = ca.
3,5€) mit Reservierung, denn aus den
Tickets werde ich einfach nicht schlau, was wir wirklich bezahlt
haben. |
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Ganz Sibiu macht sich schick, denn schließlich
ist man 2007 Kulturhauptstadt Europas!
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